Zu Besuch im VEB Museum

Am 8. März 2024 wurde im Deutschen Hygiene Museum Dresden die Sonderausstellung „VEB Museum“ eröffnet. Es ist die erste Exposition, die sich speziell mit der DDR-Geschichte des Hauses auseinandersetzt. Es vereinte das staatliche „Institut für Gesundheitserziehung“, einen Produktionsbetrieb für anatomische Modelle und medizinische Lehr- und Aufklärungsmittel, die weltweit exportiert wurden, war aber auch „Klubhaus“, jedoch nie ein wirklicher Volkseigener Betrieb (VEB). Warum die Ausstellung so benannt wurde, welche Rolle das einst als Gesundheitsaufklärer fungierende Maskottchen „Kundi“ spielt und was bei der musealen „Werkbesichtigung“ zu erfahren ist.

Pressekonferenz, von links: Dr. Carola Rupprecht (Leiterin Abteilung Bildung und Vermittlung DHMD), Dr. Susanne Illmer (Leiterin Abteilung Wissenschaft und Veranstaltungen DHMD), Prof. Dr. Thomas Lindenberger (Direktor des Hannah Arendt Instituts für Totalitarismusforschung), Dr. Iris Edenheiser (Direktorin DHMD), die Kuratorinnen Dr. Susanne Wernsing und Dr. Sandra Mühlenberend.

Erkenntnis- und Erinnerungsort

Warum jetzt diese Sonderausstellung? Der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, Carsten Schneider, hat die Schirmherrschaft übernommen. Nicht, weil er sich selbst an Hygienetipps von „Kundi“ erinnert, sondern weil ihm wichtig ist, Menschen in Ost und West zusammenzubringen, den Dialog zu fördern und Klischees zu hinterfragen. Auch für die seit 2022 amtierende Direktorin des DHMD, Dr. Iris Edenheiser, ist diesbezüglich „offensichtlich immer noch viel zu tun“. Fragen beantworte die Sonderausstellung aus gesellschaftspolitischer Sicht, sagte sie bei der Eröffnungspressekonferenz. Die als „Werksbesichtigung“ konzipierte Ausstellung könne nur der Beginn institutioneller Aufarbeitung sein. Andere Einrichtungen werden damit bestärkt, sich ihrer DDR-Geschichte zu stellen. „VEB Museum“ soll Erkenntnis- und Erinnerungsort sein.

Mutig, originell, innovativ

Lange war DDR-Aufarbeitung auf den „Unrechtscharakter“ fokussiert, sagt Prof. Dr. Thomas Lindenberger, Direktor des Hannah Arendt Instituts für Totalitarismusforschung (HAIT) und wissenschaftlicher Berater der Sonderausstellung. Die Sicht auf ein normales Leben fehlte meist. „Es gab nicht nur Schergen und Oppositionelle“ so die Sicht des Zeithistorikers. „Viele haben auch ein lohnenswertes Leben geführt“. Diese Widersprüchlichkeit darzustellen, könne kaum jemand besser als das Deutsche Hygiene Museum Dresden. Sich der eigenen Geschichte zu stellen, ist mutig, das Ausstellungsprojekt originell, weil es so noch niemand gemacht habe und innovativ, weil auch der Stolz der im früheren Produktionsbetrieb Tätigen gezeigt wird, hob er hervor. Damit ist die Ausstellung auch für Menschen interessant, die die DDR nicht aus eigenem Erleben kennen.

Kuratorin Dr. Susanne Wernsing beginnt die Werksbesichtigung im Versandlager.

16 Räume in vier Abteilungen

Im Versandlager, direkt hinter dem Eingang links, steht eine gläserne Kuh. Auf einem Rollwagen, bereit zum Export nach Venezuela. Es ist das neunte und letzte Exemplar eines anatomischen Modells aus den Cellonwerkstätten des Deutschen Hygiene Museums. Hinter ihm an der Wand prangen die 1936 am Museumsportal angebrachten Großbuchstaben MUSEUM. In den 1960-ern wurden sie mit blauem Neonlicht unterlegt. Seit der Generalsanierung des Hauses ab 2002 lagerten sie im Keller. Sie sind nicht die einzigen Relikte, die das Ausstellungsteam in die aktuelle Sonderausstellung integrierte.

Zeigen, was wirklich war

Eingaben für den Umweltschutz sind möglich.

„Einige Phasen der DHMD-Geschichte sind besser erforscht als andere“, sagt Kuratorin Dr. Susanne Wernsing. Ein VEB war das Deutsche Hygiene Museum Dresden nie. Es unterstand dem DDR-Ministerium für Gesundheitswesen. Unter seinem Dach befanden sich das „Institut für Gesundheitserziehung“ und ein Produktionsbetrieb für anatomische Modelle und medizinische Lehr- und Aufklärungsmittel. Zudem war es ein beliebtes Veranstaltungshaus. Die Ausstellung gliedert sich folgerichtig in die vier Abteilungen „Netzwerke“, „Macht“, „Produktion“ und Klubhaus“. „Wir schauen nicht auf den Mangel, sondern auf das was wirklich war“, so die Historikerin. Weil es auch um soziale Prozesse geht, wurden 40 Zeitzeug*innen befragt, deren Interviews in der Ausstellung, aber auch online, angesehen werden können. Überrascht war die Kuratorin dabei unter anderem über „Ausbildungswege, die im Westen nicht bekannt waren.“

Blick in die Werkstatt

In die Recherchen zur Ausstellung waren viele Beschäftigte des DHMD aus DDR-Zeiten involviert. „Wir haben von deren Wissen sehr profitiert“, sagt Kuratorin Dr. Sandra Mühlenberend. Die Kunstwissenschaftlerin erklärt, dass sich die Farben von drei Ausstellungsräumen (Susanne Hopf) an früheren Lehrmitteln orientierten. Demnach nicht am überstrapazierten Bild einer „maroden und drecküberzogenen DDR“.

Knick-Senkfuß-Modell, Glasaugen und Frauenruheraum

Bevor die (echten) historischen Türen zum (abgerissenen) Festsaal durchschritten und im von Mathis Neidhardt gestalteten Klub geschwoft oder in der Gaststätte verweilt werden kann, sind der Machtraum zu durchschreiten, das Direktorenzimmer, die Schaltzentrale und die Produktion zu passieren, der Sanitätsraum und der Frauenruheraum zu bestaunen. Einige anatomische Modelle dürften Menschen, die in der DDR Biologie-Unterricht hatten oder eine medizinische Ausbildung absolvierten, bekannt vorkommen. So finden sich beispielsweise das Modell eines „Knick-Senkfußes“ aus der Moulagenwerkstatt von 1961, jede Menge Glasaugen, aber auch Anleitungen wie mit Schussverletzungen umzugehen ist.

Die historischen Türen zum einstigen Festsaal wurden im Keller des DHMD gefunden.

 

Und was ist mit Kundi?

Das langjährige Maskottchen Kundi ist ein beliebtes Fotomotiv.

DDR-Sozialisierte sind mit dem Maskottchen des Deutschen Hygiene Museums Dresden aufgewachsen. „Kundi“ war dessen Leitfigur und brachte Kindern Hygieneregeln und Gesundheitstipps nahe. Die von Richard Hambach geschaffene Figur mit dem Fernrohr unter dem Arm fungierte zu DDR-Zeiten als Gesundheitsdetektiv. 1991 wurde sie in Rente geschickt, „um sich von der Gesundheitserziehung in der DDR abzugrenzen“. In der aktuellen Sonderausstellung steht „Kundi“ in Lebensgröße und ist ein beliebtes Fotomotiv. Aus dem Ruhestand werde er aber nicht geholt. „Wir respektieren ihn als zentrale Figur, die bei vielen Menschen Erinnerungen auslöst, aber wir integrieren ihn nicht mehr. Das Museum macht heute etwas anderes“, begründet Direktorin Dr. Iris Edenheiser.

Der Sanitätsraum zeigt Werbung für Krankheitsprävention anhand verbreiteter Haut- und Lungenkrankheiten.

 

Um in die Tiefe zu gehen, sollten Interessierte unbedingt mehr als eine Stunde für ihren Ausstellungsbesuch einplanen. Auch ein Blick auf das umfangreiche Begleitprogramm lohnt sich. Wer nicht in die sächsische Landeshauptstadt reisen kann, kann an einer virtuellen Live-Führung via Zoom teilnehmen, beispielsweise am 9. April 2024, 19 Uhr. Die Sonderausstellung „VEB Museum“ ist bis 17. November 2024 zu besichtigen.

 

 

 

Fotos: Dagmar Möbius

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Ein Kommentar zu “Zu Besuch im VEB Museum”
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