So war es live auf Sendung

Die Kamera ausgerichtet, das Licht eingestellt, Tür geschlossen, funktioniert der Ton? Eine halbe Stunde vor dem Live-Stream saßen fast alle Erzähler*innen vor dem Monitor. Nepomuk Rohnstock dirigierte aus der Ferne die Technik und erteilte Regieanweisungen. Allerdings gab es kein Drehbuch bei der Premiere des ersten digitalen Erzählsalons. Kein Text wurde vorab gecheckt, alle Teilnehmer*innen durften erzählen, was ihnen zum Thema Arbeit aus ihrer persönlichen Sicht wichtig war. Wie beim echten Film gab es Überraschungen. Eine Kamera versagte den Dienst, an einem Gerät wurde der Monitor schwarz, ein Erzähler steckte noch im Stau – aber dann Punkt 18:00 Uhr hieß es „Spot läuft“… Und alle saßen am Bildschirm.

Saloniere und Initiatorin Katrin Rohnstock führte in das Projekt „30 Jahre Deutsche Einheit. Deine Geschichte – unsere Zukunft“ ein. Wie beruhigend, dass sie offensichtlich genauso so aufgeregt war wie alle Beteiligten, die sich vorher bis auf drei Kollegen aus dem Chemnitzer Raum nicht kannten. Also am besten ausblenden, dass die ganze Welt in dem Moment live zusehen könnte.

Olaf Forner aus Berlin erzählte zuerst seine Geschichte. Nach einem bewegten Leben arbeitet er jetzt (auch) als Persönliche Assistenz für Roland Walter. Ich kannte den Performer und Inklusionsaktivisten vorher nicht. Den beiden Männern zuzuhören, ließ mich ins Staunen kommen. Was für beeindruckende Biografien! Und was für ein seltenes und wichtiges Ereignis, Menschen mit Behinderungen nicht nur eine Alibi-Stimme zu geben, sondern sie tatsächlich mit ihren Fähigkeiten zu Wort kommen zu lassen. Nach diesem Auftakt war klar: dies würde eine Runde werden, in der man nicht gelangweilt wird, auch wenn die Lebenswelten der fünf Männer und vier Frauen so unterschiedlich waren.

Alle, die vermuten, dass im Erzählsalon nur Ostdeutsche zu Wort kommen, irren sich. Sehr wertvolle Erfahrungen und Einsichten steuerte beispielsweise die gebürtige Niedersächsin Barbara Staib bei. Die Berichte der langjährigen Entwicklungshelferin waren ein ehrliches Plädoyer für gegenseitige Akzeptanz und Neugier – ohne Ost-West-Bashing. Die Anekdoten aller Beteiligten machten Lust auf mehr. Für mich waren sie auf jeden Fall interessanter als ein gewöhnlicher Fernsehabend. Von Dokumentation über die Fiktion bis Krimi und Tragödie war alles dabei. Fürs echte Fernsehen wären die Geschichten sicher „zu normal“. Schade eigentlich.

Kurz: Es war spannend, auch humorvoll und wirklich anregend. Wenn man denn die goldene Regel „Zuhören, aussprechen lassen“, beherrscht. Die ganze Sendung kann hier angesehen werden. Ich durfte übrigens im ersten Drittel sprechen. Was ich vor doch nicht völlig zu unterdrückender Aufregung nicht gesagt habe: mein bester Chef in meiner Zeit als Sprechstundenschwester nach der Wende war ein Münchener… Nicht nur, weil ihm tatsächliche Fähigkeiten wichtiger waren als ein formaler Abschluss. Und in meiner Klinikzeit mit Multi-Kulti-Personal zählten ohnehin Fachkompetenz und Teamgeist mehr als Ost- oder West-Sozialisation.

Ich werde mir auf jeden Fall auch die nächsten Folgen anschauen. Nächste Woche, am 23. Juni, geht es ab 18 Uhr um das Thema „Gesundheit“.

PS: Was die Berliner Zeitung heute über die Premiere schreibt, steht hier:

Update: 11. Juli 2020: Kommentare habe ich bei YouTube ergänzt. Zahlen u.a. hier: https://www.sprechstundenschwester.de/erinnert/orte-polikliniken/

 

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3 Kommentare zu “So war es live auf Sendung”
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